Various
Donaueschingen 2007 4xCD Box
(Neos Music)
Die Donaueschinger Musiktage gelten als Gipfeltreffen der Neuen Musik in Deutschland. Ein ungemein hohes Uraufführungspensum hat sich hier eingebürgert und fordert vom Publikum Konzentrationsspannen, die kaum zu erbringen sind. Da bieten sich die von Jahr zu Jahr in zunehmendem Umfang veröffentlichten Mitschnitte als dankbares Rekapitulationsmittel an. Für das letztjährige Festival beläuft sich die Zahl der CDs auf ganze vier Stück.
Auf einer dieser CDs befinden sich Dokumente dafür, daß junge zeitgenössische Musik Abstand nehmen kann von allzu entrückter Abstraktheit und durchgeweichten Gesten ohne dabei Federn im kompositorischen Anspruch lassen zu müssen. Es sind Stücke, die formal mitreißen, die klanglich vielfältige Assoziationen aufrufen.
Mark Andres zwischen 2005 und 2007 entstandenes … auf … III für Orchester stellt geräuschafte, unharmonische und harmonische Klänge gegenüber und vermittelt zwischen diesen. Zaghaft rauschende Streicher werden mehr und mehr durchsetzt von kurzen impulsiven Aufschreien, die später in donnernden Schlägen, nicht nur der Perkussionisten sondern ebenso der Streicher mit den Bögen auf die Saiten, gipfeln und immer wieder zurückkehren als wollten sie den Zuhörer wachrütteln. Beckenklänge, die sich langsam aufbauen, und crescendierende Bläserakkorde durchlaufen den gleichen dynamischen Prozess; einmal mit hohem Geräuschanteil und einmal von der Harmonik bestimmt. Andre gelingt in seiner Arbeit eine hochspannende Entwicklung, die weit über den Moment hinausgeht, indem sie bereits Gehörtes engführt, variiert artikuliert und nicht zu Letzt durch den zusätzlichen Klangraum der Live-Elektronik erweitert.
Die Komposition GOYA I – Yo lo vi (2006) von Helmut Oehring beschreitet ganz andere Wege, indem sie erzählt und sich in einem andauernden Vorwärtsdrang befindet. In ihrer Klanglichkeit an die 1920er Jahre erinnernd schreckt sie nicht vor Walking-Baßlinien und einsamen Kantilenen zurück. Stets scheint jedoch ein Moment der Bedrohung und des Abgründigen hindurch, das allem schattengleich folgt und dieses stellenweise verdrängt. Gleichzeitig vermögen rhythmische Pattern sowie die Wucht des ganzen Orchesterapparats nicht, der Leichtfüßigkeit und vielleicht auch Naivität des Einzelklangs den Zauber zu nehmen. Einem Hoffnungsschimmer gleich endet dieses durch eine Kriegsradierung Goyas inspirierte Werk in entfernt klingender Trommelrhythmik, die unter Klavier- und Pizzicatotupfern langsam entschwindet.
Mit der Verwendung der gleichen fünf Töne in der immer gleichen Reihenfolge verschreibt sich Enno Poppe auf den ersten Blick einer Starrheit und Rigidität, die ebensolche Klanglichkeit vermuten läßt. Frischer Gebrauch der orchestralen Klangfarben und stete Verschiebung, Überlagerung, Verdichtung und Dehnung der Tonabfolgen belehren allerdings eines Besseren, das schon der die Tonfigur zu Beginn beherrschende Triller vorausnimmt. Erst gegen Ende mündet das mit Keilschrift betitelte Stück in eine von Glocken, Gongs und Pauken erfüllte Archaik, die nach der vorherigen Vielfalt kompositorischer Gestaltung klärend wirkt.
Erschienen ist die CD sowie die restlichen drei bei Neos, dem neuen Label von Wulf Weinmann. Das Label möchte mit seinen Veröffentlichungen am Zahn der Zeit bleiben, indem es sich auf aktuellste Musik konzentriert und neue Erkenntnisse zur Interpretation einfließen läßt. Alle CDs des Labels sind gestaltet in feinen Digipacks mit hohem Wiedererkennungswert.
Manuel Schwiertz
www.neos-music.com