Stefan Fricke schreibt es in einem Text zum wunderschönen Ausstellungskatalog: der Schlüssel zum Verständnis des Cage’schen Werks könnte im genauen Studium seiner Partituren und Anleitungen liegen. Daher ist es nur stimmig, dass die Ausstellung A House Full of Music etliche Partituren zeigt: von Paul Klee, von Marcel Duchamp, von Luciano Berio, von Cathy Berberian und von Cage himself. In manchen Notationen ist die Schönheit des Werkes bereits auf dem Papier eingeschrieben. Die Ausstellung präsentiert diese Scores in eben diesem Sinne, als bereits erste Vorwegname des klanglichen Kunstwerks, als eine Art stille Musik. Und eben nicht so sehr als Gebrauchsanweisung. Dies geht zurück auf den konzeptuellen Ansatz der Schau: dem Entspinnen der Verbindung von Musik und Bildender Kunst anhand von markanten Strategien und Praktiken (Zerstörung, Schweigen, etc.) und entlang von drei strahlkräftigen Künstlerpersönlichkeiten (Cage, Satie, Duchamp). Im Aufzeigen der verschiedensten Ausprägungen der gewählten Strategien und im unterschiedlich stark ausgeprägten Rückbezug auf die historischen Figuren zeigt sich die ganze Spannbreite der Werke und eine gewisse forschend-provozierende Grundhaltung. So ist es z.B. erfrischender, den spleenig-dilettanischen Musikapparat (siehe Foto) eines Dieter Roth zu bestaunen, als sich an eine akkurat ausgeführte Cage-Aufführung eines Spitzenensembles für Neue Musik zu erinnern, wo zwar sorgfältig musiziert wurde, aber der Spirit in der Garderobe geblieben ist. Von diesen Aha-Erlebnissen bietet A House Full Of Music eine ganze Menge – es sind oft die Außenseiter und Zweifler, die die Musik spielen. Von den Einstürzenden Neubauten bis hin zu Nam June Paik. Überraschend unterrepräsentiert sind die Futuristen, die – siehe Russolos Gemälde „La Musica“ – die Verschmelzung der Kunstformen unter einem Programm geradezu forciert haben.
Die Ausstellung begeistert nicht nur durch ihr inhaltliches Konzept sondern auch durch die praktische Umsetzung, die bereits in den Feuilletons abgefeiert wurde: eine Ausstellung zum Thema Klang und man hört zunächst NICHTS. Der Audioguide spielt viele Werke automatisch beim Annähern ab, aller Sound bleibt im Kopfhörer des Besuchers. Dieses Konzept schafft Intimität und direkten Bezug zu einzelnen Werken, führt aber auch etwas zu Vereinzelung und pädagogischer Überfrachtung (wenn z.B. vor Erklingen der Arbeit selbst erst ein länglicher Einführungstext verlesen wird).
Einige Werke stechen heraus und nehmen den Betrachter gefangen, aufgrund ihrer starken Wirkung. Dies mögen für jeden Besucher natürlich andere Arbeiten sein. Hier unsere Top Five:
„Pixillation“ (1970) von Lillian Schwartz, ein psychedelisches Acidhead-Video mit Musik von Moog-Impressario Gershon Kingsley. Optimistische Computerkunst die ihren zeitlichen Horizont direkt abbildet und doch weit darüber hinaus reicht.
Robert Morris: „Box with the Sound of its Own Making“ (1961): Toll, diese Arbeit im Original zu sehen. Eine brillante Idee – eine Holzbox enthält die Geräusche ihrer eigenen Herstellung, ein Lautsprecher im Innern spielt die Geräusche ab. Eine einfache Umsetzung, eine poetische Arbeit.
Luciano Berio: „Sinfonia“ (1968) In einer Sysyphos-Arbeit haben die Museumsmenschen in Darmstadt die Faksimilie-Edition der Handschrift in großem Format auf den Wänden der Ausstellungsräume angebracht. Man kann in den farbigen Sequenzen die Ausschnitte aus anderen musikalischen Werken (Mahler, Schönberg, Debussy) erkennen. Sampling, Remix, Montage – you name it. So stellt sich das die ernste Musik vor.
Peter Roehr: „Ohne Titel“ (1963/64) Sequenzielle Textarbeiten, extrem rhythmisch und spartanisch, dabei kraftvoll und ohne Schnickschnack. Mehr Techno in der Literatur geht nicht. Was will Stuckrad-Barre?!
Ragnar Kjartansson: „God“ (2007) Diese Videoinstallation ist perfekt inszeniert und kommentiert den morbiden Charme Las Vegas-ähnlicher Inszenierungen. Man steht drin und weiß nicht ob man weinen oder lachen soll…
Natürlich gibt es noch weitere tolle Werke zu bestaunen, u.a. von Robert Filou, Yves Klein oder Terry Fox um nur drei weitere Namen herauszugreifen. Und der mystisch-beruhigende Gegenpol zur Bilderflut im Wasserspeicher: die raumgreifende Installation von Heiner Goebbels, die den Betrachter erdet und den Puls runterfahren läßt.
Die Ausstellung A House Full Of Music in der prachtvollen Jugendstil-Anlage der Mathildenhöhe in Darmstadt ist unbedingt ein Reise wert. Sie läuft nur noch bis zum 09. September 2012 und schließt mit einer letzten öffentlichen Kuratorenführung und einer Trompetenfanfare!
Weitere Infos unter: http://www.mathildenhoehe.info/www/ausstellungen.html#music
Der Katalog ist im Hatje Cantz Verlag erschienen.
Till Kniola, Foto: Dieter Roths „Olivetti-Yamaha-Grundig Combo“ von Wolfgang Günzel
© Institut Mathildenhöhe Darmstadt