diatribes & Barry Guy – multitude CD

diatribes & Barry Guy
multitude (2010)
(cave12 Orchestra | c12 o 01 )

Barry Guy ist ein Wanderer zwischen den Welten. Klassisch ausgebildet, hat er sich mit dem London Jazz Composers Orchestra, dem Barry Guy New Orchestra und in seinen gemeinsamen Projekten u.a. mit Evan Parker zunächst vor allem in der Welt des Jazz einen Namen als Kontrabassist der Extraklasse gemacht. Immer öfter (oder vielleicht schon immer?) sind seine Werke aber auch im Rahmen etwa des Berliner Ultraschall-Festivals und damit inmitten der Herzkammern der Neuen Musik zu hören. Der Spagat zwischen Jazz und Neuer Musik gelingt ihm dabei wie kaum einem anderen ohne hörbare Reibungs- oder Spannungsverluste.
Für die vorliegende Einspielung tat sich Guy mit dem jungen schweizerischen Avantgarde-Duo diatribes zusammen, bestehend aus dem Laptop- und Noise-Artist D’incise und dem Schlagzeuger Cyril Bondi. Gemeinsam legen sie mit „Multitude“ nun ein Album vor, das unter so etwas wie dem Leitmotiv „Verfall“ zu stehen scheint und das bereits zum Einstieg mit seiner Vielzahl an Kratz-, Quietsch- und Raschelgeräuschen sofort Assoziationen zu Helmut Lachenmanns musique concrète instrumentale weckt. Gleichzeitig aber ruht diese Musik auf einem oft ganz luftig leichten, ganz ungezwungenen rhythmischen Fundament, und führt so scheinbar unvereinbare musikalische Konzepte zu einer wunderbaren Neue-Musik-Avantgarde-Jazz-Synthese zusammen.
Im weiteren Verlauf verlagern sich die Schwerpunkte innerhalb dieses Ansatzes mal mehr in Richtung Free Jazz, auch mit leicht folkloristischen Anklängen, mal in Richtung industriell-lärmigem Noise auf Field-Recording-Basis, mal mehr in Richtung Neue Musik. Dass das Ergebnis aber immer zwingend und überzeugend klingt, ist etwas, dass man außer von Barry Guy und seinen Projekten und Kooperationen wohl nur sehr selten in dieser Vollendung zu hören bekommt. „Multitude“ ist Geräuschmusik par excellence! Großartig! 
Übrigens: Ein Blick auf die Website von diatribes lohnt sich. Viele vorausgegangene Veröffentlichungen des Duos sind auf diversen Netlabels erschienen (unter anderem auf dem eigenen von D’incise, Insubordinations) und können dort kostenlos heruntergeladen werden.
Strunz!