Masonna
„Ich beginne mit 1, 2, 3, 4“
Yamazaki Maso Takushi ist niemand, der die Dinge unnötig in die Länge zieht. Seine Auftritte als Masonna sind kurz und schmerzvoll. In kaum mehr als zwei Minuten lädt er jede Menge Hass und Empörung über unsere modernen Gesellschaftsformen über dem Publikum ab und hinterlässt es staunend angesichts dieser pointiert-prägnanten Energiekonzentration.
Bei Masonna handelt es sich um eine Wortschöpfung aus den japanischen Worten Maso (Masochist) und Onna (Frau), er selbst referenziert den Namen aber manchmal auch als Mademoiselle Anne Sanglante Ou Notre Nymphomanie Auréolé und Mystic Another Selection Of Nurses Naked Anthology.
Thomas Venker traf Yamazaki Maso Takushi im Oktober 2014 in Tokyo, wo er im Rahmen der Red Bull Music Academy als Teil der „Wails to Whispers“-Performancennacht auftrat.
TV: Yamazaki Maso Takushi es ist mir ein Vergnügen. Lass uns doch am besten mit dem heutigen Auftritt im Rahmen von „Wails to Whispers“ beginnen. Was darf ich erwarten?
M: Die anderen Künstler des Abends und ich, wir haben bereits in der Vergangenheit öfters zusammen gespielt. Insofern kann ich behaupten, dass es mit Sicherheit ein lauter Abend wird.
TV: Du hast die anderen Musiker angesprochen: Was verbindet dich mit Nakahara Masaya, Melt Banana und Keiji Haino?
M: Haino Keiji kenne ich sehr gut. Wir hatten eine zeitlang sogar ein Duo-Projekt zusammen. Die beiden Mitglieder von Melt-Banana und mich verbindet eine Freundschaft, die bis auf das Jahr 1990 zurückgeht.
TV: Würdest du sagen, dass ihr alle eine ähnliche Soundästhetik verfolgt, euch auf verwandte Art und Weise an Sound- und Noisetexturen abarbeitet?
M: Darüber habe ich noch nie nachgedacht.
TV: Ihr sprecht also untereinander nicht über die theoretischen Aspekte eurer Musik?
M: Nicht so wirklich, wir unterhalten uns eher über Instrumente. Wenn jemand mit Equipment auftritt, das ich noch nicht kenne, dann weckt das mein Interesse und wir tauschen uns darüber aus.
TV: Aha, das heißt, dass du deine Kollaborationspartner auch nach deren Instrumentarium aussuchst?
M: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Die Instrumente spielen während der Kollaboration zwar eine wichtige Rolle, aber für die Entscheidung ist vor allem die Person selbst von Bedeutung; ich muss sie respektieren, das Gefühl dafür bekommen, dass wir gemeinsam etwas Besonderes erschaffen können. Oft muss ich jedoch realisieren, dass es mir leichter fällt, meine Musik und mich alleine auszudrücken. In letzter Zeit habe ich deswegen nur wenige Kollaborationen gesucht.
TV: Wenn du es auf einen Satz herunterholen müsstest: Warum machst du Musik?
M: Das ist eine schwierige Frage. Es mag nicht exakt die Antwort auf deine Frage sein, aber lass mich so beginnen: Ich bin zum eigenen Musikmachen über mein Interesse an Noisemusik gekommen. Zu dieser Zeit produzierten jedoch schon andere Künstler Noise, so suchte ich also nach einem noch nicht verfolgten Ansatz. Als großer Fan von Punk- und Hardcoremusik lag es nahe, die Aufgeregtheit und den Ausdruckswillen dieser Musikstile aufzugreifen, jedoch ohne deren konventionelles Instrumentarium aus Gitarre und Bass. Ich kombinierte also physischen Aktionismus und Soundradikalität – das war die Geburtsstunde von Masonna. Wenn ich auftrete, dann gibt es auf der Bühne keinen Tisch mit Equipment, es steht lediglich ein Mikrofonständer da und zu seinen Füßen jede Menge Effektgeräte und ein Oszillator, der Sounds fabriziert, wenn ich ihn schüttle – je härter desto noisiger geraden sie. Am wichtigsten sind aber meine Bewegungen, sie machen den Kern des Ganzen aus: wenn ich hüpfe und wieder auf der Bühne lande, dann verändere ich die Effekte auf sehr drastische Art und Weise…. Was war noch mal die Frage?
TV: Das ist egal, die Antwort war wunderbar. Wo wir gerade schon über die Performance sprechen. Wie wichtig ist das Publikum dabei für dich?
M: Wirst du heute Abend zum ersten mal eine Performance von mir erleben?
TV: Ja.
M: Hast du dir ältere auf Youtube angeschaut?
TV: Ja. Warum?
M: Nun, es ist so, dass ich am Anfang meiner Performance genau weiß, was ich machen will – aber natürlich spielt die Reaktion des Publikums dann eine Rolle. Wenn glückliche Unfälle passieren, Unfälle an sich, dann sorgen sie für Unvorhergesehenes, was die Sache aufregender gestaltet. Ich habe dich das mit meinen alten Auftritten gefragt, da sie noch länger angelegt waren. Nun aber lege ich mein Augenmerk auf die Geschwindigkeit und Intensität der Performance und versuche sie auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich beginne mit 1, 2, 3, 4 – und von diesem Punkt an versuche ich das Energielevel so lange wie möglich ganz oben zu halten. Wenn es jedoch zu sinken beginnt, dann muss ich sofort zum Schluss kommen. Alles muss mit voller Energie passieren. Die Kürze des Auftritts hat auch mit meiner begrenzten Kapazität zur Konzentration zu tun. Der Auftritt dauert exakt so lange, wie ich nicht an andere mich ablenkende Dinge denken muss.
TV: Das bedeutet, dass wir heute Abend eine kurze Performance erleben werden?
M: Das ist zumindest das Ziel. Ich gehe von so etwas wie zwei Minuten aus. Aber Zeit ist sowieso eine nur schwer zu messende Einheit. Die Dauer ist das wesentliche Momentum – und deswegen ist die zentrake Frage, wie lange ich die Kraft habe mit voller Energie zu operieren. Ergibt all das Sinn?
TV: Ja.
M: Es ist nicht so, dass ich nur zwei Minuten spielen möchte, sondern eher so, dass es wegen der beschriebenen Rahmenbedingungen eben darauf hinausläuft.
TV: Weil du es eben angesprochen hast, geht all das einher mit einer Reflektion von Zeit als Maßeinheit?
M: Ja. Es ist doch so, dass der Veranstalter vom Künstler vorher immer eine grobe Länge seines Auftritts wissen will. Ich möchte mich aber nicht in solche vorgegebenen Boxen reinpressen lassen. Mir geht es darum, die Konventionen, wie Konzerte veranstaltet sein sollen, zu sprengen.
TV: Dir geht es letztlich um die Intensität der Performance. Wer sagt denn, dass zwei Minuten nicht so viel Wirkung haben können wie eine Stunde.
M: Eine Masonna Show wird nicht dadurch besser, dass sie länger ist. Das Energielevel ist die Maßeinheit, um die es mir geht. Wenn mich also die Leute fragen, wie lange ich auftreten werde, so kann ich dies nur schwerlich vorhersagen.
TV: Beziehst du dich mit deinen Performances eigentlich auf die Arbeiten der Fluxus-Bewegung und von Body-Art-Künstlern wie Chris Burden, Vito Acconci oder Marina Abramovic, denen es ja auch darum ging, das normale ästhetische Setting des Publikums herauszufordern.
M: Kunst interessiert mich nicht so sehr, Rock´n´Roll ist meine Sache.
TV: Hier aber trittst du im Rahmen der Red Bull Music Academy auf, die sich größtenteils mit elektronischer Musik auseinandersetzt. Interessiert dich dieses Terrain denn auch?
TV: Von welcher Art elektronischer Musik sprechen wir?
M: Krachiger Techno, bei dem die Bassdrum so gut wie zerstört ist.
Ich höre Konrad Schnitzler, Kraftwerk und Yello Magic Orchestra, aber nicht so sehr die aktuellen Produzenten.
TV: Ich frage dich das, da es aktuell die Entwicklung in der elektronischen Musik gibt, dass viele TechnoproduzentInnen auf Noise-Sounds und – Patterns zurückgreifen, Verzerrungen, Rauschen und krachige Soundscapes eine große Rolle spielen. Ist dieser Prozess dir überhaupt bewusst?
M: Zu diesem Thema kann ich wenig beisteuern.
TV: Fair enough. Lass uns über deinen Karriereanfang sprechen. Zunächst hast du in Led-Zeppelin- und Deep-Purple-Coverbands gespielt. Wie hat man sich das vorzustellen, eine reine Kompromissentscheidung, da sich noch nichts anderes ergeben hat?
M: Es waren die ersten Optionen, die sich mir auftaten, da Freunde von mir diese Bands gründeten. Ich zog aber schnell in Hardcore- und Punk-Bands wie Yamazaki Maso, Space Machine, Triple Yama’s, Kinkakuji, Gokurakuji, South Saturn Delta & Andromelos, Flying Testicle und Bustmonster weiter.
TV: 1996 warst du erstmals in Amerika auf Tour – inwieweit unterschied sich das Publikum von den Besuchern deiner Auftritte in Japan?
M: Schwer zu sagen, da ich in den letzten zehn Jahren nicht außerhalb Japans gespielt habe. Ich versuche mich zu erinnern: Die Szene dort war insofern anders, als dass es eine wirkliche Szene gab und viele Leute zu den Shows kamen. In Japan existierte in den 1990er Jahren kein Publikum für meine Musik.
TV: Gibt es aktuell denn keine Anfragen für Auftritte außerhalb Japans? Das kann doch nicht sein.
M: Doch, doch, ich bekomme Angebote, aber irgendwie ließ es sich nie koordinieren.
TV: Wegen deiner regulären Jobs? Du managst ja Jojo Hiroshige’s Plattenladen Alchemy und das Label Coquette.
M: Nicht mehr, ich habe beides aufgegeben.
TV: Was machst du denn dann heutzutage hauptberuflich?
M: Es gibt einen anderen Job. Aber das erzähle ich dir nur, wenn du es nicht druckst.
TV: Okay… In den 1990er Jahren, als die japanische Noisemusik ihre Genese erfuhr, waren nicht nur Veranstaltungen wie die RBMA noch in weiter Ferne. Es gab auch kein Internet, keine Handys – kulturelle Arbeit war also noch deutlich regionalisierter und langsamer. Empfindest du die moderne Welt als Fortschritt? Bist du neidisch auf die jüngeren Künstler?
M: Heutzutage ist jeder in der Lage Musik zu machen und sie über die Welt zu verbreiten. Früher musste man viel härter nach ihr Suchen. Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, ob mir persönlich das Internet geholfen hätte.
TV: Verkaufst du heute Abend denn eine neue Veröffentlichung? Es ist ja sehr lange her, seitdem du Musik publiziert hast.
M: Nein. Nichts. Das ist zuviel Arbeit. Ich habe zuletzt in der Tat nichts mehr veröffentlicht. In der Vergangenheit war es immer so, dass ich, kaum war ein Album fertig und draußen, bereits wieder Ideen für das nächste hatte, so dass ich umgehend anfangen wollte. Diese Inspiration fehlt mir derzeit, also mache ich auch keine Musik, sondern konzentriere mich auf meine Auftritte. Live zu spielen und Musik zu produzieren, das sind zwei völlig verschiedene Welten.
TV: Wie oft trittst du denn auf?
M: Es gibt da keine fixe Zahl. Jedes Jahr veranstalte ich am 1. Mai in Osaka meinen „Mayday“. Davon abgesehen trete ich eigentlich immer auf, wenn mich jemand anfragt, sofern es mein Zeitplan zulässt.
TV: Ich bedanke mich sehr für das Gespräch bei dir. Domo Arigato Gozaimasu.
Text & Foto: Thomas Venker